Leserbrief von Günter Rausch an die BZ, 16. April 2012
„Nachhaltigkeitstage“ stehen vor der Türe und die Badische Zeitung fragt am 13. 4. einen Experten für „Humangeographie“, Tim Freytag: „Wie kann sozial nachhaltige Stadtentwicklung aussehen“? Nicht von ungefähr verweist der Universitätsprofessor auf die Tatsache, dass die Mieten in Freiburg für viele Haushalte nicht mehr tragfähig sind. Er regt an, wieder öffentliche Mittel einzusetzen, um die Verdrängung der ansässigen Bevölkerung durch überhöhte Mietpreise zu unterbinden. Soweit so gut. Aber auf die Frage, ob in Freiburg Fehler gemacht wurden, antwortet er kurioserweise: „Ich denke nicht, dass man von Fehlern sprechen kann“.
Muss sich die Stadtspitze nicht vorwerfen lassen, seit Jahren nicht nur zu zusehen, wie die Mietpreisentwicklung in die Höhe schnellt, sondern auch selber über die kommunale Stadtbau GmbH hierfür mitverantwortlich zu sein? Gemeint sind nicht nur die sozial oft nicht tragbaren Mieterhöhungen der letzten Jahre. Erinnert wird auch daran, dass ehedem preiswerte Wohnungsbestände, zum Beispiel zuletzt in der Johann-Sebastian-Bach-Straße oder einst in der Spittelackerstraße kurzerhand abgerissen und durch teure Neubauten ersetzt wurden.
Aktuell berichtet die BZ in derselben Ausgabe nur drei Seiten weiter über Proteste der MieterInnen in der ECA-(Stadtbau)Siedlung, deren noch preiswerter Wohnraum ebenfalls vernichtet werden soll. Die BZ schreibt, die Wohnungen aus dem Jahre 1952 seien „deutlich in die Jahre gekommen“. Sind 60 Jahre für einen gepflegten, regelmäßig instand gesetzten Wohnungsbestand tatsächlich zu viel? Gibt es nicht in Freiburg Wohngebiete, deren Charme gerade darin besteht, dass deren Häuser zum Teil noch aus dem Kaiserreich stammen? Sicher war die Bausubstanz von Beginn an besser, aber wenn deren Eigentümer ihren Besitz genauso verlottern ließen, wie die städtische Wohnungsgesellschaft, käme es schlussendlich auf das Gleiche hinaus. Nicht das Alter ist für den Niedergang diverser städtischer Wohnbestände verantwortlich, sondern eine Politik, die von der Nachhaltigkeitsphilosophie meilenweit entfernt ist. Zu einer „Greencity“ passt es wohl kaum, Vermögenswerte systematisch zu vernachlässigen, bis der Substanzverlust so hoch ist, dass der Ersatz durch einen ökologisch aufwändigen Neubau angeraten erscheint. Wer selbst in so einem Haus wohnt, würde niemals so handeln!
Ein derartiges Geschäftsgebaren ist auch mit den Prinzipien der ökonomischen Nachhaltigkeit nicht vereinbar. Mit knappen Mitteln wirtschaftlich umzugehen, bedeutet doch auch, die vorhandenen Ressourcen zu pflegen und z.B. Wohnungsbestände regelmäßig instand zu setzen und behutsam stetig zu modernisieren. Jahrelang die Mieten kassieren, aber in diese Objekte nicht investieren, mag in das Wirtschaftskonzept von Heuschrecken passen, nicht jedoch für eine „Greencity“. Es stellt sich daher auch die Frage nach der Verantwortung der Aufsichtsräte.
Die oben genannte „soziale Nachhaltigkeit“ wird durch Frau Beule’s Bericht von der ECA-Versammlung mit vier Worten deutlich skizziert: „Der Unmut ist groß“! Frühzeitige „Partizipation“ aller Betroffenen ist ein Eckpfeiler sozialer Nachhaltigkeit. BZ-LeserInnen wissen, dass eine Einbeziehung oder gar eine Mitbestimmung der MieterInnen über die Frage, was mit ihren Häusern geschieht, die sie im übrigen durch ihre Miete längst abbezahlt haben, noch nicht einmal in Erwägung gezogen wird. Und dass die Mieten nach Abriss und Neubau um vieles höher sein werden, bestreitet ebenso niemand. Viele Mieter werden dann noch mehr finanzielle Sorgen haben als heute. Auch langjährige Nachbarschaftsnetze werden durch die Abrissbagger zerstört werden.
Darf vor diesem Hintergrund ein Experte für Nachhaltigkeitsfragen ernsthaft behaupten, von Fehlern könne man nicht sprechen?
Günter Rausch, Freiburg